Urner Wochenblatt | 149. Jahrgang | Nr. 51 | Samstag, 28. Juni 2025
Miniaturmalerei im Grossformat zu sehen


Eigentlich lebt er mit seiner Familie in Berlin, stammt aber aus der Mongolei. Seine Kunst ist europaweit in Ausstellungen zu sehen, aber auch in Uri kommt man immer wieder in den Genuss, die feine Miniaturmalerei von OtGO zu bewundern. Im Monat Juni war OtGO einmal mehr zu Gast im Kunstdepot Göschenen, das sein zehnjähriges Bestehen feiert. Was der mongolische Künstler während seines Aufenthaltes im Grossformat geschaffen hat, kann man am Wochenende im Kulturraum der Alten Kirche in Göschenen sehen.



Urner Wochenblatt | 149. Jahrgang | Nr. 51 | Samstag, 28. Juni 2025 | Franka Kruse
Mongolischer Künstler OtGO erschafft in seinen Bildern wahre Wunderkammern

Urner Wochenblatt | 149. Jahrgang | Nr. 51 | Samstag, 28. Juni 2025
Urner Wochenblatt | 149. Jahrgang | Nr. 51 | Samstag, 28. Juni 2025

Kunstdepot
Fast könnte man schon sagen: OtGO ist wieder da. Der mongolische Künstler, der 2022 das erste Mal nach Andermatt kam und in der Galerie Art87 in einem offenen Atelier viele Menschen mit seiner Miniaturmalerei faszinierte, hat seitdem den Kanton Uri in sein Herz geschlossen. Gleich für zwei Monate kam Otgonbayar Ershuu, der sich selbst OtGO nennt, dann im Frühjahr 2023 ins Kunstdepot Göschenen, um an mehreren grossen Werken zu arbeiten.
In diesem Jahr feiert das Kunstdepot von Christoph Hürlimann sein zehnjähriges Bestehen. Aus diesem Grund lädt der Kunstmäzen verschiedene Künstlerinnen und Künstler, die in den vergangenen zehn Jahren da waren, erneut ein, im Kunstdepot Gast zu sein. OtGO ist ebenfalls dabei und hat den ganzen Monat Juni in Göschenen verbracht. Ganz in seinem Stil: erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Letzteres findet der 1981 in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar geborene Künstler vor allem in der Natur, zu der die Menschen in seiner Heimat und seiner Kultur eine tiefe Verbindung haben. Nicht nur zur Landschaft, Faunaund Flora, sondern auch zu ihren Mythen und Legenden, die sich über die Jahrhunderte in dem Land entwickelt haben, das flächenmässig etwa viermal so gross wie Deutschland und 38 Mal grösser als die Schweiz ist, aber von nur knapp 3,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern besiedelt wird.

2 Millionen Briefmarken gesammelt
So geht es in OtGOs Bildern auch immer wieder um Fabelwesen, um Menschen und Tiere, die sich zu Tausenden im Kleinformat in seinen Bildern wie in Schwärmen tummeln und zu bewegen scheinen. In Göschenen nun hat sich OtGO an eine Bildserie gemacht, in die er Briefmarken aus aller Welt integriert. «In ihrer Art sind Briefmarken auch Miniaturbilder», sagt OtGO, dem es Spass macht, all die kleinen Motive auf den Marken mit der Lupe genauer zu betrachten. In seinem Leben habe er etwa 2 Millionen Briefmarken gesammelt und in rund 2000 Alben aufbewahrt. Viele von ihnen stammen aus Online-Grosseinkäufen auf Ebay. Vor vier Jahren begann er jedoch, sie aus den Alben zu lösen und sie Collagen-ähnlich in seinen eigenen Bildern zu integrieren.
«Junge Menschen interessieren sich nicht mehr für Briefmarken und ihre Geschichten. Die Sammler ster- ben aus», erzählt OtGO. Auf seine Weise verhilft er den teils über 150 Jahren alten Marken zu neuer Aufmerksamkeit und neuen Geschichten, die sich Jung und Alt beim Betrachten von OtGOs Riesen-Wimmelbildern immer wieder anders erählen können.
Fein säuberlich sortiert nach Motivgruppen wie Tiere, Früchte, Blumen, Popstars, Prominente, Politiker, Erfindungen, Fahrzeuge, Kontinente, Länder oder Alter hat er sie in luftdicht verschliessbaren Plastikboxen abgelegt. Etwa 50 000 Briefmarken aus der ganzen Welt hat der Künstler mit nach Göschenen gebracht, dazu reichlich Papier und Farben. Deswegen sei er in diesem Jahr auch zum ersten Mal mit dem Auto von Berlin, wo er seit 20 Jahren mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt, angereist. Schliesslich gab es einiges Gross- und Kleinteiliges zu transportieren. Wenn OtGO mit der Arbeit beginnt, dann gerät er schnell in Fluss oder Flow – wie man heute sagt. Er vergisst Raum und Zeit. «Es kann gut sein, dass ich Tag und Nacht hindurch male. Ich kenne dann kein Morgen – nur ein Jetzt. Für mich ist das wie Meditation», sagt er. Erst wenn er nach 12, 13 Stunden die Pinsel zur Seite legt, spürt er, wie seine Hand zu schmerzen beginnt. Der Körper mache zuvor einfach mit. Obgleich sein Geist konzentriert im Willen und Moment sei, gehe er beim Arbeiten rein seinem Gefühl nach. «Erst wenn das Werk fertig ist, fange ich an, mir Gedanken zu machen.»


3 Meter lange Werke in zwei Wochen gemalt
Auf diese Weise hat OtGo in den ersten beiden Juniwochen drei Werke gemalt, die aus je zehn DIN-A3- Format-Blättern bestehen, die im Hochformat aneinandergeklebt jeweils rund 3 Meter lang sind. Auf ganzer Länge hat der Künstler in seinem Atelier im Kunstdepot auf einem Holztisch auch gearbeitet. Dabei geht er Schritt für Schritt vor: kleben, malen, kleben, malen. Auf diese Weise integriert er die Briefmarken, teils auch mit Marken versehene Postkarten und Briefe Stück für Stück in das Gesamtbild.
Beugt man sich vor, erkennt man beim Betrachten, dass zwischen, über oder unter den unzähligen Zebras, Affen, Rochen, «OtGOpussen», Schweinen, nackten Menschenkörpern, Früchten, Punkten, Linien, Fingerabdrücken auch die Motive der Briefmarken ihren ganz bestimmten Platz im Gesamtkunstwerk gefunden haben. Alles fügt sich zusammen. Mal halten die Affen den Schwanz eines Rochen wie das Band eines Luftballons fest, mal lassen die Läufe eines galoppierenden Zebras das Porträt eines prominenten Musikers oder königlichen Hauptes hervorlugen.

«Für mich ist die Arbeit an dem Bild auch eine Atemübung.»
Otgonbayar Ershuu

Von aussen betrachtet eine ungeheure Fleissarbeit, die auf Kante genau gemalt ineinander übergeht, obwohl OtGO die Bilder für Ausstellungen vom Grossformat wieder ins kleinere A3-Format auseinandernimmt und aufhängt. Wie aktuell zum Beispiel in einer Ausstellung in Maltas Hauptstadt Valletta: «Cabinet of Curiosities» (zu Deutsch: Wunderkammer) heisst sie. Entsprechend hat OtGO die neue Serie «Wunderkammer Göschenen» getauft.

Doch nicht genug. Um sich selbst Abwechslung bei der Arbeit zu schaffen, hat OtGO ein Bild gemalt, dessen Hauptmotiv ihm schon lange im Kopf «herumspukte». Der mongolische Todeswurm; ein Sandwurm, der laut Legende in der Wüste Gobi lebt, sich unterirdisch fortbewegt und seine Beute (auch Menschen) mit tödlichem Gift oder elektrischen Stössen angreift. «Ich bin mit dieser Geschichte, die mir meine Grossmutter immer erzählte, aufgewachsen. Sie fesselt mich bis heute.» Dass sich dieser Wurm in der Tat noch immer für fantastische Geschichten eignet, hat Hollywood mit den zahlreichen Oscar-Erfolgen der Science-Fiction-Filme «Dune» und «Dune Part Two» längst bewiesen, fügt OtGO an. Das, was sich im Kino als riesiger Sandwurm durch die Wüste fresse, liege der mongolischen Sagenwelt zugrunde, erzählt der Künstler.



OtGO Göscheneralp. Artist in Residence Switzerland. June 1 to 30, 2025 The Charitable Foundation Stiftung Kunstdepot, Göschenen, Switzerland
OtGO as an Artist in Residence Switzerland. June 1 to 30, 2025
The Charitable Foundation Stiftung Kunstdepot, Göschenen, Switzerland

 




 

 




Bei OtGO schlängelt sich der Wurm über eine fast 4 Meter lange, feine Leinwand, die er auf einer Pappe wie einen kleinen Teppich auf- oder abrollen kann. Helle, freundliche Farben lassen nichts Böses vermuten, erscheinen wie in einem schönen Traum. Am rechten Bildrand sitzt eine Nomadenfamilie neben ihrer traditionellen Jurte auf dem Boden; obgleich sich doch aus der Ferne Sandwürmer anzunähern scheinen. Oder sind die vermeintlichen Sanddünen doch eher die Höcker von Kamelen? OtGO lässt den Betrachtenden wie immer persönlichen Spielraum, gibt das Fabelwesen auf diese Weise aber der mongolischen Kultur zurück.

60 wertvolle Momente pro Minute erleben
«Für mich war die Arbeit an diesem Bild auch eine Atemübung. Denn jede dieser feinen Linien braucht 100 Prozent Konzentration. Jeder Strich ist ein Atemzug und markiert einen Moment. So kann man jede Sekunde einer Minute als 60 wertvolle Momente bewusst wahrnehmen», erläutert OtGO. Mit dieser Atemtechnik geniesse er die Zeit, denn jeder Moment sei individuell.
Auf diese Weise hat der Künstler neben seinem Schaffen im Kunstdepot Göschenen auch in diesem Jahr wieder die Wochen intensiv nutzen und geniessen können. Wenn er Göschenen wieder verlässt, ziehen OtGO und seine Kunst weiter. Es folgen Ausstellungen bei seinem Galeristen in Mannheim sowie im Anschluss eine Einzelausstellung in einem Kunstmuseum in Moldawien. Und vielleicht bleibt dann im nächsten Jahr wieder Zeit für einen Besuch im Kanton Uri.


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Ausstellung in der Alten Kirche
Zum Abschluss ihres jeweiligen Aufenthaltes im Kunstdepot Göschenen haben die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler die freiwillige Möglichkeit, ihre ganz unterschiedliche Schaffensweise und Werke der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen. Dafür steht ihnen die Alte Kirche Göschenen als Kultur-und Ausstellungsraum zur Verfügung. Zeitgleich mit dem mongolischen Künstler OtGO haben sich im Juni Alvar Beyer aus Deutschland und David Rickard aus Neuseeland beziehungsweise Grossbritannien aufgehalten. Ihre gemeinsame Ausstellung ist am Wochenende vom 28./29. Juni jeweils von 14.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. (fk)



 


 





Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO June 30, 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz
Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO Am 30.Juni 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz







Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO June 30, 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz
Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO Am 30.Juni 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz







Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO June 30, 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz
Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO am 30.Juni 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz





Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO June 30, 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz
Wunderkammer Göschenen Panorama von OtGO Am 30.Juni 2025 Alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert Göschenen, Uri, Schweiz











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